Odious Debts

Russische Interessen an der Außenschuld des Iraks

SWP-Aktuell (Stiftung Wissenschaft und Politik), Germany
April 18, 2003

This paper argues Russia has rejected the American proposal for debt relief in Iraq, and favours using Iraq’s debt to drive negotiations to improve its own economic position in
post-Saddam Iraq.

Ausstehende irakische Schulden als Faustpfand für Wirtschaftskonzessionen

Bereits in den neunziger Jahren spielten die 8 Milliarden Dollar, die Bagdad der Russischen Föderation noch aus der Zeit vor dem UN-Embargo schuldet, eine Rolle in der Finanzplanung Moskaus. Damals hatte Rußland an seiner eigenen Außenschuld schwer zu tragen und jeder Entlastungsdollar aus Altforderungen gegenüber Dritten war willkommen. Inzwischen hat sich mit der allgemeinen Wirtschaftskonsolidierung die Budgetsituation entspannt; ferner hatte man diese Forderungen faktisch abgeschrieben, da bis vor kurzem niemand in Moskau mit einer Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit des Iraks gerechnet hat. Dennoch wies Moskau den kürzlichen amerikanischen Vorschlag nach einem Schuldenerlaß für Bagdad durch den Pariser Klub zurück. Die Argumente für die Ablehnung sind allerdings nicht haltbar, und es deutet einiges darauf hin, daß Rußland die Schuldenfrage als Verhandlungsmasse nutzen will, um sich im Post-Saddam-Irak ökonomisch besser zu positionieren.

Als vor einigen Monaten die Möglichkeit einer amerikanisch-britischen Invasion in den Irak immer intensiver diskutiert wurde, bezog Rußland eine Antikriegsposition und drohte schließlich mit einem Veto im Welt­sicherheitsrat. Zwar argumentierte Moskau, es sei aus humanitären Gründen gegen Gewaltanwendung zur Lösung von Konflik­ten. Aber diese hehre Einstellung ist wenig überzeugend angesichts des blutigen Tschetschenien-Krieges, der innerhalb Ruß­lands seit Jahren geführt wird, und der Tatsache, daß russische Truppen in mehre­ren GUS-Republiken stationiert sind. Hinter vorgehaltener Hand gab Moskau stets zu verstehen, daß ein von amerikanischer Seite herbei­geführ­ter Sturz Saddams eine neue Konstel­lation der Wirtschaftsinteressen im Zwei­strom­land nach sich ziehen würde. Dabei würde Rußland, das zum Irak seit Jahr­zehnten besonders enge Kontakte gepflegt hat, mit wirtschaft­lichen Einbußen bestraft werden. Während offiziell und in den Medien Umfang und Struktur der russischen Inter­essen eher unscharf abge­steckt wurden, tauchte die irakische Alt­schuld gegenüber Moskau als handfestes Argument für eine Antikriegshaltung immer wieder auf.

Die finanziellen Forderungen Moskaus

Die Schulden Bagdads wurden insbesondere in den achtziger Jahren akkumuliert, als der Irak den kräftezehrenden Krieg gegen das Mullahregime im Nachbarland Iran nicht aus eigener Kraft finanzieren konnte und auf externe Hilfe angewiesen war. Hauptkreditgeber waren die ölreichen Nach­barn des Iraks – Kuwait, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) -, die entweder mit direkten Zuwen­dungen oder durch Umschuldung bereits existierender Forderungen halfen. Die Ver­bindlichkeiten des Iraks gegen­über diesen Gläubigern betragen heute 12,5, 25,0 bzw. 17,5 Milliarden US-Dollar. Weitere Gläubi­ger sind unter anderem Frankreich (ins­gesamt 8 Milliarden, davon 1,7 Milliarden öffentliche Schuld, der Rest sind For­de­run­gen der Privatwirtschaft), sowie Deutsch­land und die USA mit jeweils 4 Milliarden Dollar.

Als seinerzeit wichtigster Verbündeter engagierte sich die frühere Sowjetunion mit Waffenlieferungen und/oder militärischen Projekten vor Ort. Sie wurden auf Kreditbasis vereinbart und von Bagdad laufend bedient. Teilweise bestanden auch Abkommen über zivile Projekte, die von den Irakern meistens direkt finanziert wurden, so daß die russische Seite nicht vorfinanzieren mußte. Das Gesamtvolumen der russisch-irakischen Kooperation sum­miert sich auf über 37 Milliarden Dollar, von denen etwa 7 Milliarden für den zivilen Teil ausgegeben wurden. Die restlichen 30,5 Milliarden enthielten russische Auf­wendungen im Zeitraum 1958 bis 1990 für Waffenlieferungen, Schulung und Weiter­bildung von Militärpersonal, Repa­ratur und Modernisierung bereits gelieferter Objekte, den Bau militärischer Ein­rich­tungen etc. Davon sind 22,4 Milliarden Dollar vom Baath-Regime bezahlt worden. Es werden also rund 8 Milliarden seit 1991 als aus­stehende Schuld in den Büchern geführt.

In einigen russischen Stellungnahmen wird von Forderungen in Höhe von 12 Milliarden Dollar ausgegangen. Dies wäre nur dann korrekt, wenn der Betrag eine aufgelaufene Verzinsung von ca. 50 Prozent der Schuld enthält. Das wäre bei einem Kreditzins von jährlich 4 bis 5 Prozent denk­bar. Ob der höhere oder der niedrigere Betrag bei einer anstehenden Schulden­regulierung des Iraks zugrunde gelegt wird, muß noch geklärt werden. Nach UN-Angaben hat die Außenschuld des Iraks zu Beginn der neunziger Jahre rund 64 Milliar­den Dollar betragen. Inzwischen gaben Mitarbeiter der Zentralbank in Bagdad die Schuld mit 125 Milliarden an, wovon rund 40 Prozent Zinsforderungen seien. Andere Quellen sprechen – unter Bezugnahme auf mögliche Reparationsansprüche Kuwaits aus dem ersten Irak-Krieg – von bis zu 300 Milliarden Dollar abzutragender irakischer Schulden.

Offensichtlich wird der Irak seinen Ver­pflichtungen nicht in vollem Umfang nach­kommen können. Mit einer Wirtschaftsleistung von 20 bis 25 Milliarden Dollar im Jahr und zunächst noch geringen Einnahmen aus dem Ölexport können der Wieder­aufbau der Wirtschaft und der Schuldendienst nicht zugleich bewältigt werden. Insofern ist der US-Vorstoß, dem Land Schulden zu erlassen, nicht unplausibel, und die drei besonders angesprochenen Gläubiger, Rußland, Frankreich und Deutsch­land, werden sich dem nicht voll entziehen können. Die drei beeilten sich aber zu entgegnen, daß eine Regelung der Irak-Schuld im Rahmen des Pariser Klubs erfolgen muß. Dieser nahm am 23. April 2003 Beratungen darüber auf.

Der Pariser Klub ist ein informeller, 1958 gegründeter Zusammenschluß von 19 Gläu­bigerregierungen, darunter der russischen. Sie stimmen ihre Politik gegenüber Schuld­nerregierungen ab. Obwohl selbst eine hohe Außenschuld tragend, wurde Moskau 1997 mit der Begründung aufgenommen, es sei zugleich Gläubiger einer Reihe von Ent­wick­lungsländern, einschließlich des Iraks. Der Pariser Klub bedient sich in Abhängigkeit vom Entwicklungstand des jeweiligen Kredit­nehmers verschiedener Schemata zur Schul­denregulierung. Länder auf einem mittleren Entwicklungsstand – mit einem Pro-Kopf-Jahreseinkommen von bis zu 2995 US-Dollar – genießen die soge­nannten Huston-Konditionen. Diese sehen zwar keine Abschreibung vor, aber eine groß­zügige Restrukturierung der Forde­rung. Danach werden gewöhnliche Kredite auf 18 Jahre gestreckt und mit einer Gratis­zeit (Schuldendienstaussetzung) von 8 Jahren versehen. Kredite im Rahmen offizi­eller Ent­wicklungshilfe werden auf bis zu 20 Jahre gestreckt und haben eine Gratiszeit von 10 J hren. Weitere Varianten sehen ver­schie­dene Swaps vor: Umwandlung von Schuld­scheinen in Aktien, in Eigentum oder in Kredite für Umweltprojekte usw.

In der Vergangenheit hat man von diesen Varianten mehrfach Gebrauch gemacht, zuletzt in Jugoslawien 2001, als dem Land zwei Drittel seiner Schuld erlas­sen wurden. Frühere Präzendenzfälle waren Polen, Ägyp­­ten, Jordanien und Pakistan.

Schuldenregelung und Wirtschaftsinteressen

Nach Aussage des russischen Finanzministers Kudrin braucht der Irak keine Schul­den­reduzierung. Er sei potentiell wohl­habend und könne den Schuldendienst im Prinzip tragen. Ferner stellt sich Moskau auf den Standpunkt, auch Rußland seien seine Altschulden aus der Sowjetzeit nicht reduziert oder abgeschrieben worden.

Diese Behauptung der russischen Seite trifft allerdings nicht zu (ironischerweise waren die USA seinerzeit für eine Reduzierung der Altschulden gegenüber den offizi­ellen Gläubigern, Deutschland aber dage­gen). Die frühere Sowjetschuld bestand aus Verbindlich­keiten nicht nur gegenüber dem Pariser, sondern auch gegenüber dem Londoner Klub (in dem private Gläubiger, meistens führende Großbanken, Mitglied sind), da die sowje­tische Regierung Kredite auch bei west­lichen Privatbanken aufnahm.

Aus der Sicht der Moskauer Zentralplaner spielte es keine Rolle, ob das Geld von Regie­rungen oder von privaten Kreditinstituten bereitgestellt wurde. Daher hatte die russi­sche Regierung, die nach dem Zerfall der UdSSR deren finanzielle Verpflichtungen übernahm, beide Schuldenportionen gleichermaßen zu bedienen (sie verhielten sich im Verhält­nis 4 zu 3). Wegen der schlech­­ten Wirtschaftslage in den neunziger Jahren stellte der hohe Schuldendienst eine deutliche volkswirtschaftliche Bela­stung dar. In der Tat hat die russische Regierung insgesamt fünf Streckungs- und Umschuldungsver­einba­rungen mit den offiziellen und privaten Kreditgebern getroffen. Sie entlasteten Moskau bis 1997 um insgesamt 56,8 Milliarden Dollar. Mehr noch, Anfang 2000 erreichte die russische Seite, daß der Londoner Klub eine Einmal­abschreibung eines Drittels und eine Umwand­lung (meistens in Eurobonds) des verblie­benen Betrags seiner Forderung vornahm. Im Endeffekt wurde diese da­durch halbiert, und zwar mit einem effek­tiven Einsparergebnis für Moskau von 16 bis 17 Milliarden Dollar. Damit erhöhte sich die vom Westen geleistete finanzielle Unterstützung für Rußland auf über 70 Milliarden Dollar. Nicht eingerechnet in diese Summe sind sonstige finanzielle Leistungen wie Direkt­transfers, Wohnungs­baufinanzierung für die aus Deutschland abziehenden Militärs und huma­nitäre Hilfe.

Daher ist das russische Argument, man könne nicht helfen und habe auch selbst keine Hilfe erhalten, wenig tragfähig. Hinzu kommt, daß sich der Kreml vor dem Irak­krieg mit dem Verlust seiner Forderungen an den Irak anscheinend abgefunden hatte. Niemand hatte Grund zu der Annahme, Saddam könnte bereit sein, die Schulden direkt zurückzuzahlen.

Heute nun hat man einen Vorwand, um die Schuldenfrage für verschiedene Zwecke zu instrumentalisieren: Im Parlament melde­ten sich Politiker zu Wort mit der Idee, der Westen solle Moskau Schulden in gleicher Höhe erlassen, wenn Rußland Bagdads Schulden reduziert. Andere sind weniger kompromißbereit und verweisen auf die Tatsache, daß der Irak viel größere Ölreserven besitzt als die Russische Födera­tion. Und ihr habe man ja nicht zuletzt aufgrund ihrer Naturreichtümer eine Abschreibung ihrer Schulden verweigert.

Moskaus Wirtschaftsinteressen

Jenseits aller nationalistischen und ideolo­gischen Emotionen geht es der russischen Seite um eine bessere Positionierung im Post-Saddam-Irak. Daß hierbei das rhetorisch strapazierte »Wohl der Iraker« nicht viel zählt, belegt die brüske russische (und französische) Ablehnung des US-Vorschlags, die gegen das alte, jetzt nicht mehr existie­rende Regime verhängten UN-Sanktionen aufzuheben. Dabei waren es Moskau und Paris, die noch vor kurzem die Aufhebung des Embargos gegen Saddam vehement gefordert, das »Oil-for-Food«-Programm initiiert und daran gut verdient hatten. Allein 2002 lieferten russische Exporteure im Rahmen des Programms Waren in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar in den Irak – meist Erzeugnisse unzureichender Qualität, die unter Wettbewerbsbedingungen auf dem Weltmarkt nicht absetzbar gewesen wären.

Moskau hofft, daß die neue irakische Administration die Förderkonzessionen anerkennt, die russischen Ölgesellschaften vom früheren Regime zugesagt worden sind. Vor diesem Hintergrund sehen Beob­achter die irakischen Schulden gegen­über Rußland lediglich als Verhandlungsmasse bei der Verteilung des nicht geringen »Kuchens« aus Ölförderkontrakten an, die demnächst in die Wege geleitet werden soll.

Die tatsächliche Rück­zahlung der Schulden hält man für weniger realistisch – und wichtig. Zwar wurden die Erwartungen der russischen Seite teilweise künstlich hoch­geschraubt, da man noch vor kurzem von einem angeblich von Saddam zugesagten Konzessionsbetrag in der Größenordnung von 40 bis 60 Milliarden Dollar aus­gegangen war. Lukoil, die Nummer 1 unter den russischen Ölkonzernen, warte auf die Inangriffnahme der Arbeiten im Ölfördergebiet West-Qurna II, die der Gesellschaft in den nächsten 35 Jahren 20 und dem Moskauer Haushalt 16 Milliarden Dollar einbringen soll. Inzwi­schen kalkuliert man realistischer: Rang­hohe Duma-Vertreter äußern die Sorge, daß auf der Liste der Länder mit Zugang zu den irakischen Öl­quellen gerade Rußland und Frankreich ziemlich am unteren Ende stehen werden. Auch techni­sche Projekte, die das Baath-Regime nach »Günstlings­prinzip« vergeben hat, sind nun in Frage gestellt. So ein von dem Moskauer Unternehmen Technoprom­export begonnenes und teilweise vorfinanziertes Wärmekraftwerk in Usifia im Wert von knapp einer halben Milliarde Dollar. Auch das Einfordern »verbriefter« russischer Wirtschaftsinteressen vor Gericht erschien den beteiligten Unternehmen bereits vor Ausbruch der Kampfhandlungen als schwer durchsetzbar. Stimmen wurden laut, man solle lieber die Zusammenarbeit mit amerikanischen Multis suchen, ehe man alles verliere. Andere sind weniger pessimistisch und glauben, daß die USA besser die russischen Interessen im Irak anerkennen sollten, statt die Gefolgschaft Moskaus bei der Terrorismusbekämpfung mit Zugeständnissen gegenüber dessen Politik im Tschetschenien-Krieg zu erkaufen.

Allerdings sind russische Experten skep­tisch, ob die Iraker unter den Bedingungen breiter inter­nationaler Konkurrenz nicht strikt nach Wirtschaftskriterien vorgehen werden. Dann, so fürchtet man, dürften die west­lichen Wettbewerber aufgrund ihres höheren technologischen Standards und größerer Finanzierungsreserven im Vorteil sein.

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